Simonides (Konstantin), der größte literarische Fälscher der neueren Zeit, ist nach seinen eigenen, aber unzuverlässigen Angaben im Jahre 1823 auf der Insel Hydra geboren; feine Mutter soll von Symi, in der Nähe von Rhodus, sein Vater aus Stagira abstammen. Seine erste Schulbildung erhielt er auf der von Kapodistrias ge= gründeten äginetischen Erziehungsanstalt; seit dem Jahre 1831, wo diese Anstalt einging, entschwindet er unseren Augen und wir finden ihn, nachdem er 1837 sich eine furze Zeit in der Buchdruckerei des Buchhändlere Koromelas befunden, auf dem Berge Athos wieder, wo sein Oheim mütterlicher Seite, Benediktos, Vorsteher des sogenann ten, von Rußland unterstüßten, russischen Klosters war. An der Seite dieses Mannes
lernte er viele griechische Handschriften kennen, denen derselbe ein eifriges Studium widmete, und hat er wahrscheinlich auch manche abschreiben müssen. Er verweilte zwei Jahre lang auf dem Athos, begab sich darauf, als sein Oheim starb, nach Konftantinopel und besuchte hier, vom griechischen Patriarchen unterstüßt, die Schule des Phanar. Später ging er nach Odessa, diente daselbst dem Staatsrath Alexander Sturdza als Schreiber und ward von diesem zu einem Lithographen geschickt, bei dem er das Zeichnen auf dem Stein lernte. Nach diesen Vorbereitungen trat er 1846 in Athen zum ersten Male mit neuentdeckten Handschriften auf. Er spannte zunächst die allgemeine Aufmerksamkeit durch das Vorgeben, sein Oheim vom Berge Athos habe ihm eine Menge werthvoller alter Manuscripte hinterlassen; die Zeitungen sprachen schon mit Begeisterung von der Bereicherung, welche der Alterthumswissenschaft bevorstehe, und die griechische Regierung erklärte sich bereit, bei der Herausgabe dieser Schäße mitzuwirken. S. brachte indeffen nur zwei Inedita zum Vorschein, die er Shmais und Panselenus nannte. Die Symais sollte das Werk eines Mönchs Meletios aus Chios sein, der dem dreizehnten Jahrhundert angehört habe, und giebt die Geschichte der Hochschule von Shmi, einer angeblichen Schöpfung der griechischen Kaiser aus früher Zeit. Diese Schule soll nach dem Manuscript eine der bedeutendsten aller Zeiten gewesen sein und ihre genialen Lehrer haben unter Anderem das Papier, das Fernrohr, das Dampfschiff, die schweren Artilleriegeschüße, die Kupferstecherkunst, den Buchdruck und die Taucherglocke erfunden. Die Handschrift des Panselenus war nicht erfunden, sondern nur gefälscht und eristirte auf dem Athos in vielen Handschriften. Sie enthält die Arbeit eines Mönchs Meletius aus dem funfzehnten Jahrhundert, welche die Ikonographie der Heiligen lehrt und den Titel Panselenus nach einem Maler führt, welcher sich in der Heiligenmalerei der kirchlichen Ueberliefe rung am gehorsamsten angeschlossen hatte. S. hatte das Buch auf dem Athos abgeschrieben, aber dasselbe mit der interessanten Notiz bereichert, daß Panselenus die Verfertigung von Lichtbildern erfunden habe. Da in einer französischen, schon ein Jahr vorher erschienenen Ueberseßung des Buchs von Didron (Manuel d'Iconographie Chrétienne Grecque et Latine) diese Stelle fehlte, half sich S. mit der Behauptung, daß ste dieser Franzose aus Gefälligkeit gegen seinen Landsmann Daguerre unterdrückt habe. Obwohl die Symais keine Anerkennung fand und Muftoridis (s. d. Art.), welchen S. für dieselbe besonders zu inter= efstren suchte, ihm einen strengen Verweis gab, so trat er dennoch 1848 mit einem wahren Schaße von Handschriften auf. Er brachte einen Homer, einen Anakreon, vollständige Arriane und Menander, die Gedichte der Sappho und umfangreiche Auszüge aus Eratosthenes, Polybius, Hekatäus u. f. w. zu Tage. Seine Handschriften erweckten die allgemeine Aufmerksamkeit in dem Grade, daß das griechische Ministes rium des Cultus nicht umhin konnte, ihm seinen Wunsch zu erfüllen und die nähere Prüfung aller dieser Manuscripte zwei Ausschüssen zu übertragen. Die Gelehrten, die in diese Ausschüsse berufen waren, gingen in ihrem Urtheile sehr aus einander; einige behaupteten die Aechtheit und ein Profeffor der Universität von Athen empfahl sogar in seiner Begeisterung der Regierung die Veröffentlichung dieser Schäße; doch mußten sich die Gläubigen endlich dazu bequemen, ihr Urtheil zurückzunehmen, als einige schärfer blickende Gelehrte die Unächtheit mit zwingenden Gründen nachwiesen. Da das Urtheil der Ausschüsse bekannt wurde, kam der Ruf des Abenteurers zwar stark in's Gedränge, doch hielt ihn bei Manchen noch seine Liebenswürdigkeit im Umgange und seine außerordentliche Ueberredungsgabe. Man neigte sich sogar zu der Annahme, daß er kein Betrüger, sondern nur ein Betrogener sei, zumal da man wußte, daß er bei dem jungen griechischen Gelehrten Alexander Lykurgos noch Unterricht in der altgriechischen Syntar nahm. Woher sollte ihm, dem Schüler, nicht nur die Dreiftigkeit kommen, Gelehrten seine Versuche in der altgriechischen Geschichtschreibung und Boefte vorzulegen, sondern auch das Geschick, diese Versuche so einzurichten, daß seine hestodischen und sapphischen Verse oder seine historischen Essays nicht von vorn herein das allgemeine Gelächter erregten? Man fam daher auf die Vermuthung, daß auf dem Athos eine ganze Gesellschaft von Fälschern existire, welcher S. nur zum Vertrieb ihrer künstlichen Manuscripte diene; doch hat man sich nicht die Mühe gegeben, diesen ver
mutheten Zusammenhang ernstlich zu untersuchen. Indessen ließ sich S. durch das Urtheil jener von der griechischen Regierung niedergeseßten Ausschüsse nicht entmuthigen. 1850 trat er mit einer Beschreibung der Insel Kephalonia auf, dem Bruchstück eines geographisch-historischen Werkes über ganz Griechenland, welches von einem bis dahin unbekannten Kephalonier Eulpros aus dem vierten Jahrhundert n. Chr. herrühren sollte. Auch diese Arbeit wurde als fabricirt nachgewiesen. S. ging hierauf nach Konstantinopel, fand bei dem sardinischen Gesandten, Baron Lecco, einem großen Alterthumsfreund, Aufnahme, versuchte es erst mit einem Sanchuniathon, dann mit einem altgriechischen Werke über die Hieroglyphen, ferner mit einer Handschrift in Keilschrift mit phönicischer Interlinear-Ueberseßung, fand aber an Dr. A. D. Mordtmann, Geschäftsträger der Hansestädte in Konstantinopel, einen unterrichteten Mann im Umgange mit dem Baron Lecco, welcher den Glauben des lezteren erschütterte. Nun trat er mit der Behauptung auf, eine Handschrift aus der Zeit der lateinischen Herrschaft in Konstantinopel zu besigen, in welcher ein Mönch melde, daß die Komnenen foftbare Manuscripte an verschiedenen Orten am Bosporus vergraben hätten, und auch die Verstecke genau bezeichne. Auf Grund dieses Wegweisers führte er sich bei dem Minister der öffentlichen Arbeiten und des Handels Ismail Pascha, einem geborenen Griechen, ein, verordnete in dessen Garten und mit der Genehmigung desselben Ausgrabungen an Orten, wo er Kapseln mit Manuscripten vorher hinprakticirt hatte, wurde aber auch hier mit seiner Praxis entlarvt. Im Stillen ging er darauf nach dem Athos, wo er Abschriften nahm, auch sich Originale aneignete, und will dann eine große Reise gemacht haben, deren Beschreibung er später in England veröffentlichte. Er will die Inseln des Archipelagus, ganz Aegypten und viele, zum Theil wüßte Gegenden Astens bereift haben. Als Günstling des Glücks findet er fast bei jedem Schritte die kostbarsten Schäße von Handschriften, Denkmälern und Inschriften; selbst der schreckliche Räuber Kadarzijahni, in dessen Hinterhalt er fällt, ist nebenbei ein begeisterter Archäologe, seine Höhle ein wahres Museum, und S. wird von ihm, nach einer vierzigtägigen Gefangenschaft, bei seiner zärtlichen Entlassung mit zwei kostbaren Vasen beschenkt. Im Jahre 1853 taucht er plöglich in London auf und treibt daselbst Handel mit Handschriften; das britische Museum fauft von ihm steben, der Vorstand desselben, Sir Frederik Madden, weist jedoch die übrigen als unächt zurück. Auch in Paris, wohin er sich dann begab, will er glänzende Geschäfte gemacht haben. Am 17. Juli 1857 erschien er in Leipzig. Hier verkaufte er an die Universitäts-Bibliothek einzelne, als ächt befundene Blätter des Hirten des Hermas und rückte dann mit den größten Entdeckungen seiner Wunderreise hervor, einer Lebensbeschreibung des sonst unbekannten Alexandriners Uranios, des Sohnes des Anarimenes und der Kallioratis und Schülers des Alerandriners Chrysippus, und zweitens des Geschichtswerkes dieses Uranios: „Drei Bücher über die Könige von Aegypten; leztere Handschrift war ein Palimpsest. Für dieses Geschichtswerk faßte der berühmte Leipziger Hellenist Wilhelm Dindorf ein lebhaftes Interesse und glaubte an deffen Aechtheit. Der damals in Leipzig anwesende Alerander Lykurgos warnte ihn vergeblich; Dindorf wollte sich seinen schlagendsten Beweisen der Unächtheit nicht ergeben, auch nicht, als Lykurgos den Leipziger Gelehrten Constantin Tischendorf zum Beistande herbeigerufen hatte. Dindorf kaufte vielmehr den Palimpsest für 2000 Thaler in der Absicht, ihn zu Orford zu verkaufen, wo er auch den Text drucken zu lassen ansing. Indessen benachrichtigte er in den lezten Tagen des December 1855 den Professor Böckh zu Berlin von einem der wichtigsten und vielversprechendsten literarischen Funde der neueren Zeit" und fand sich einige Tage später persönlich in jener Hauptstadt ein, um drei Gelehrten, unter denen der Aegyptologe Lepfius war, das erste Doppelblatt des Manuscripts vorzulegen. Man machte ihn zwar darauf aufmerksam, daß S. durch die öffentlichen Blätter des Schwindels bezichtigt sei; allein er versicherte, daß er nach der vorsichtigsten Prüfung diese Anklagen als unbegründet erkannt habe. Man prüfte nun die Handschrift und hielt ste für ächt. Dindorf schien auch zum Verkauf derselben Lust zu haben, und als er 5000 Thlr. forderte, verlangte man erst die ganze Handschrift. Dindorf brachte sie am 11. Januar 1856. Vierzehn Gelehrte unterwarfen ste der Prüfung; dieselben hatten zwar einige Anwandlungen von Zweifeln, beruhigten sich
aber bei Dindorf's Bürgschaft. Zulegt kam man dahin überein, daß Lepslus die Hälfte der geforderten Kaufsumme an Dindorf zahlte, worauf_sich jener Gelehrte der genauen Entzifferung des Coder widmete und dabei fand, daß die Berichte des Uranios den Resultaten der Geschichtsforschung, auf welche die neueren Aegyptologen nicht wenig Stolz sind, widersprachen. Am 27. Januar trug Lepstus dem Könige, der die Gelder zum Ankauf der Handschrift bereits zugesagt hatte, seine Zweifel vor. Am 29. fam eine telegraphische Depesche Tischendorf's in Berlin an: „Ich bin überzeugt, daß das Uranios-Palimpsest ein Betrug ist," den 30. forderte Lepslus die Häupter der Universität und der Akademie der Wissenschaften auf, seine Beweise der Unächtheit der Uranios Handschrift zu bestätigen und wo möglich zu verstärken, um ihn dadurch in den Stand zu sehen, gegen den Betrüger polizeilich einschreiten zu können. So unter warf man den Uranios nun einer chemischen und mikroskopischen Untersuchung und fand, daß die Uranios-Schrift jünger war als der Text, der darüber geschrieben sein follte. Jest glaubte man, daß die Grundlagen zu einem gerichtlichen Einschreiten gegen S. gewonnen seien. Lepstus fuhr selbst am Tage nach jener chemischen Brüfung mit einem Polizeibeamten nach Leipzig, um die Verhaftung zu beantragen. Dies selbe erfolgte am Morgen des 1. Februar. S. stand gerade zwischen seinen ge= packten und nach London adressirten Effecten und wollte soeben Leipzig verlassen. Eine Untersuchung seiner Effecten zeigte, daß er den Uranios noch in Leipzig selbst geschrieben und dabei auch nicht versäumt hatte, des Lepstus Schriften, die er berichtigen und übertreffen wollte, genau zu vergleichen. Auch das Geld, das ihm Din dorf ausgezahlt hatte, fand man noch vollständig vor. Indessen bald nach seiner Verhaftung ward er wieder auf freien Fuß gesezt und straflos unter Zurücklieferung seiner Gelder und Sachen entlassen. In Preußen hatte er nichts begangen, da nur Dindorf den Palimpsest in Berlin hatte verwerthen wollen, und in Sachsen gab es keinen Kläger gegen ihn, da Dindorf zur Uebernahme dieser Rolle keine Luft bezeigte. Ein interessantes Nachspiel zu dieser tragischen Berwickelung war das Gezänk zwischen Lepstus und Tischendorf, die in öffentlichen Erklärungen mit Anzüglichkeiten gegen einander losfuhren, um sich die Ehre der ersten Entdeckung des Betrugs zu vindiciren, während, wenn um diese Ehre gestritten werden sollte, Lykurgus allein der Sieger sein könnte. Aber ein faft genial zu nennender Schluß ist der Sache von S. gegeben, indem er im September 1862 in dem englischen Blatte The Guardian" bekannt machte, der Codex Sinaiticus, von welchem Tischendorf so viel unnöthiges Wesen mache, sei von ihm, Simonides, fabricirt. Im Jahre 1839 nämlich habe er denselben geschrieben, und zwar auf dem Athos und auf die Bitte seines Oheims, der dem Kaiser Nikolaus damit ein Geschenk zu machen wünschte. Er habe, unter Vergleichung anderer Ausgaben des griechischen Neuen Testaments, eine Moskauer Lertausgabe in einem fast ganz aus leeren Blättern bestehenden Bergamentband ab. geschrieben, den er in der Klosterbibliothek gefunden. Als die Handschrift fertig war, fei er vom Patriarchen Konstantios von Konftantinopel ersucht worden, sie dem Sinai. Kloster zu verehren, und derselbe Patriarch habe die Uebersendung besorgt. Als er im Jahre 1852 den Sinai besuchte, habe er bemerkt, daß man dem Coder künstlich ein älteres Aussehen gegeben habe. Professor Tischendorf nahm die Sache zu ernst, indem er die erheiternde Erfindung eines Mannes, der an ihm für seine Intervention in die Leipziger Uranios Geschichte nur sein Müthchen fühlen wollte, weitläuftig in einer besonderen Schrift zu widerlegen suchte. Für den wahren Ernst an der Sache, daß diese kühne Digression des Griechen keine ganz ungerechte Strafe für die äußerliche und völlig weltliche Geschäftigkeit war, mit welcher er selbst seine für die Schriftforschung ziemlich werthlosen Abschriften Entdeckungen zu seiner Celebrität und Decoration geltend zu machen verstanden hat, dafür hatte er kein Auge. Die Berliner Gelehrten, die dem Uranios ein so gründliches und lange dauerndes Studium gewid. met haben, hat S., wie es scheint, in Ruhe gelaffen.
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