Simonides in Athen
Wir können mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, dass Simonides nun um 1843 vollkommen bereit war, die Welt mit den einmaligen Handschriften aus seinem Besitz in Staunen zu versetzten und insbesondere um sich durch ihren Verkauf zu bereichern. Am Anfang agierte er innerhalb der Grenzen des Os-manischen Reiches sowie in Russland, indem er sich an die griechischen Gemeinden und die kirchlichen Würdenträger wandte. Konstantinopel, Smyrna, Odessa und Moskau waren die Städte, in denen er hauptsächlich tätig war und wo man ihm ohne größere Probleme Glauben schenkte. Dies kann man aus der Tatsache schließen, dass er in der Zeitspanne zwischen 1842 und 1843 in jenen Städten sieben Werke zur Edition herauszugeben vermochte.
Eines dieser Werke war Die Epistel unseres apostolischen Vaters Barnabas (Smyrna 1843). Im Vorwort stellt er die Geschichte der Edition dar; alles dort Erzählte war ein Vorgeschmack jener Methode, die er mehr oder weniger auch später anwenden würde. Als er sich nun in Konstantinopel befand, hörte er von der Diskussion und der Aporie zweier bedeutender Griechen darüber, dass keine griechische Handschrift mit dem vollständigen Text des Barnabasbriefes an die Hebräer überliefert sei. Er kündigte also alsbald an, dass er den Brief nicht nur kenne, sondern dass er ihn auch „in Majuskelschrift auf Pergament kopiert und anschließend einen Codex der Heiligen Schriften am Ende eingelegt habe“, welcher dem Zar Nikolaus als Geschenk dargebracht werden sollte. Im Anschluss behauptete er, dass er auf den Heiligen Berg gereist sei, wo er auch eine Kopie des Briefes vorbereitet habe, welche sich auf den Vergleich von angeblich sieben Handschriften des Textes stütze14. In Wahrheit handelte es sich natürlich um einen Text, den er aus dem Nachdruck des Briefes abgeschrieben und mit Ergänzungen, Eingriffen und Scholien versehen hatte.
Das Ergebnis beeindruckte den Händler Georgios Rhodokanakis, der die Edition finanzierte13. Als Simonides sah, dass seine Worte und Taten aufgrund der Unwissenheit der Menschen ohne größere Schwierigkeiten hingenommen wurden, wurde er immer mutiger und zügelloser. Im Jahre 1848 inszenierte er einen Auftritt in Athen und machte sich große Hoffnungen16. Dort aber war die Realität eine andere und der Betrug wurde enthüllt. Er befand sich in einem gerade eben neugegründeten Staat, der sich bemühte, seine Geschichte zu definieren und zu interpretieren, mit dem Ziel, einen ideologischen Rückhalt für die Gegenwart und die Zukunft abzusichern. Infolgedessen war die Empfindlichkeit bezüglich Kulturerbe und Tradition besonders groß. Darüber hinaus gab es in der griechischen Hauptstadt bereits eine organisierte wissenschaftliche Gemeinde im Rahmen der Universität; diese war bereit, einzugreifen.
14 Er benennt die Handschriften nach dem Kloster, in dem sie angeblich gefunden wurden, oder nach dem Kopisten und er datiert diese mit Genauigkeit. Beispiele: des Gaspares (APn©), der Laura (ATN), des Onesimos (AOK) u.s.w. Es finden sich auch Anmerkungen, die den Eindruck eines tiefdenkenden, kritischen, scharfen Geistes erwecken. Es ist die Taktik, die er ab diesem Zeitpunkt anwenden wird.
15 Das Buch ist klein, in 16° Format, Titel-Widmung S. a'-ia', Text S. 1-68.
16 Hauptquelle für die Tätigkeit des Simonides in Athen sind die Artikel von Koumanoudis in der Zeitung Nea Ellas (1848-1850, Heft 22,27,44, 89, 92,102, 103) und von Rangavis in der Zeitschrift Pandora (1850-1851, Heft 11, 23, 24, 25, 26).